INVASION OF THE TUMBLEWEED

INVASION OF THE TUMBLEWEED

Klarer, gelblich-blauer Himmel, soweit das Auge reicht. Bar jeglichen Wölkchens, gespannt über einen Moloch purer, sengender Hitze – und gekrönt von einer erbarmungslos vom Firmament brennenden Sonne. Den trüben Blick gen Boden wandernd stechen im Flirren der brütenden Wärme tanzende Staubteufel in meine trockenen, juckenden Augen; warme Wirbel; zwischen vereinzelten, vertrockneten Büschen und niedrigen Krüppelgewächsen umherschweifend – welche allenfalls mancherlei tödlichem Getier schattigen Schutz vor der Gluthitze zu spenden vermögen. Eine Ebene des Grauens umgibt mein zermürbtes Wesen, eine raue, grenzenlose Einöde, durchzogen von einer schnurgeraden, nun ja, im weitesten Sinne, Straße. Langsam um meine eigene Achse drehend schält sich zur linken Hand eine lieblose Ansammlung leblos anmutender Kaschemmen aus dem nüchternen Dust in mein Blickfeld. Wild durcheinandergewürfelte Baracken, windschief, verschlissen – und vom schroffen Klima, vom Dauerfieber der Steppe und peitschenden Stürmen geschleift. Ein Inzestnest inmitten unberührter Weite und Wildnis. Platz gar hartgesottener Haudegen, grobschlächtiger Knilche und düsterer Gesellen. Wer hier lebt, der muss dem Leben bereits zum Abschied gegrüßt haben.

Und doch gleicht mir jene Ansiedelung just einer erquickenden, verlockenden Oase, einem süßen Quell kühlen Wassers. Denn ich bin gestrandet. Tesla Roadster, Akku leer, bereits vor Stunden und Myriaden quälender Kilometer von hier entfernt. Ich bin durstig. Ausgedörrt. Habe hämmernde Kopfschmerzen und schmerzende Glieder, atme hektisch durch meinen trockenen Mund; kochende Luft auf meiner ledernen, angeschwollenen Zunge. Matt schlurfe ich des Lebens müde als gebrochene Gestalt die vermeidlich menschenleere Hauptstraße entlang, in Richtung jenes erlösenden Kaffs, höchstwahrscheinlich auch der einzigen Straße des gesamten gottverlassenen Ortes. Keine Laute vermögen an meine gespitzten Ohren zu dringen, keine – außer denen des leisen Säuselns des stets unbarmherzig schleifenden Wüstenwindes und des unmerklichen Prasselns und Rieselns über den Boden verwehenden Sandes und pudriger Staubschleier. Am Rande des Ortes mache ich Halt; stoppe inmitten des Nichts, des sprichwörtlichen Arsches der Welt. Dem Backofen des sehr real und wild wirkenden Westens.

Ja, ich stehe da. Ausgebrannt, dürstend, dem Ende nahe, irgendwo im Nirgendwo. Pausierend. Atmend. Lauschend. Durstig. Weit und breit keine Menschenseele. Keine Vögel, keine Insekten, kein Nichts. Nur die bratende Straße, abgenutzte Hütten, die Hitze – und ich. Beängstigend.

Wind. Und Stille. Und noch mehr Wind. So stehe ich wohl ein paar Minuten, der herzlosen Sonne ausgesetzt, unter akuter Gehirnerweichung und Hautverbrennungen leidend, und weiß nicht weiter. Was will ich hier eigentlich? Außer Wasser. Einen Dynamo borgen? Ein kilometerlanges Ladekabel ergattern? Hm. Ich bin in Gedanken versunken. Abwesend. Nicht merkend, dass sich unter dem kontinuierlichen wallen des Windes ein neues, mir unbekanntes Geräusch hinzu gesellt. Oder bilde ich mir das nur ein? Nein, da ist etwas anderes, ganz sicher. Eine neue Geräuschquelle. Ein Störfaktor, wie ich finde. Wie ein jäher Unterton die einlullende Trostlosigkeit von eben durchpflügend. Erst fremdartig flüsternd und raschelnd, vom Horizont schallend, da hinter meinem Rücken, näherkommend. Kaum wahrnehmbar zwischen dem monotonen Züngeln des brutheißen Windes. Ein zartes Knacken und Knistern. Akustische Trugbilder, Folgen meines gefährlichen Wassermangels? Spielt mir mein spröder Körper fiese Streiche, Ablenkung vom Tode? Nein, nun höre ich es deutlich: Geknister und Geraschel. Reell. Anschwellend, lauter und lauter. Gar lärmend anmutend, ja schmetternd inmitten brutaler Einförmigkeit. Knirschender Schuhe drehe ich mich langsam um, suchend, hörend, verwirrt. Nichts zu sehen. Oder doch? Etwas bewegt sich – und es bewegt sich auf mich zu. Kommt rasch näher, unförmig, seltsam formlos, von geringer Größe. Ich überlege kurz, Kopfschmerzen, verdammt – aber egal, ich halte meine Position. Dieses… Ding – oder Tier, eine Tüte gar? Ich erinnere mich vage, erkenne seine Form, verknüpfe Erkenntnisse mit Erfahrungen, realisiere – und staune. Denn ich blicke in das Antlitz eines:

Westernbusches. Erpicht darauf, jene perfide Stille zu durchbrechen, nähert er sich kugelnd dem Örtchen, der Straße, mit meiner Wenigkeit in ihrem Zentrum. Ein dorniges Tumbleweed, keck hüpfend und launig kullernd. Auf mich zu und unbeirrt an mir vorbei rollend; als sei nichts gewesen, weiter und in seiner anmutigen Bewegung buchstäblich aufsehenerregend die staubbedeckte, verwaiste Straße des unbedeutenden Fleckchens entlang, als alleiniger Akteur schon wieder hochgradig unterhaltend. Schatten regen sich hinter dreckverkrusteten Scheiben, Vorhänge wallen, werden harsch beiseitegeschoben, argwöhnische Blicke zusammengekniffener Augen kreuzen den vom Winde verwehten Störenfried. Wer wagt es, stete Ruhe zu verderben? Welch Wahnsinn treibt dies Büschchen an? So viel Aufruhr, so viel Rollen, so viel Kullern – noch dazu am helllichten Tage. Und da, potztausend, nähert sich ein weiterer Busch. Vom Luftzug unaufhaltsam angerollt, erneut an mir vorüber, die sandige Straßenschlucht entlang, den im feinen Staube gerillten, ungleichmäßigen Abdrücken des ersten Wüstenbusches beflissen folgend. Welch Affront, welch tumultartige Stampede zweier garstiger Provokateure. Mittagsruhe ade, ein Wirbel ohnegleichen ergreift Besitz vom dörflichen Elend, so mutet mir an.

Die Situation gerät außer Kontrolle, schießt’s mir durch den Kopf. Gerade noch gedacht – Kopfschmerzen, hämmernde Schmerzen -, rollt – beim Barte des Propheten – ein weiterer Busch beschaulich des Weges. Und dahinter: NEIN! DOCH! OHH – noch einer! Ach du grüne Neune, sogar zwei auf einmal. Nein, gute Güte: drei. Gar ein Pulk. Mehr, eine regelrechte Meute rollender Sträucher bahnt sich ihren Weg, auf mich zu, an mir vorbei, in das dreckige Örtchen hinein. Hinter besagten Fenstern macht sich Panik ob dieser frechen Unterbrechung beständiger Langeweile breit, Fenster werden verrammelt, Türen verschlossen, nur ich stehe wie angewurzelt am Eingang der Siedlung da; unfähig, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Den Durst kurzzeitig vergessend (mein Auto sowieso). Was geschieht hier? Und WIE geschieht MIR?

Inzwischen überschlagen sich die Ereignisse: rotierende Unruhestifter, soweit das Auge reicht. Bewegt vom Wind, dem himmlischen Kind. Welcher nicht mehr länger weht, sondern… nanu, raunt? Ja, pustet. Und merklich abkühlt (was mir gar nicht mal so unwillkommen erscheint).

Tore knarzen, verdorrtes Gras wippt hektisch vor und zurück, Sand schleift. Ferne Windspiele klimpern, erst sanft, dann fordernd, schließlich schellend. Glas klirrt, ein Laden poltert, Balken knarren, stärker und stärker. Mir wird allmählich angst und bange, vergessen ist mein Durst, ätzendes Entsetzen steigt in mir auf. Was zum Teufel ist hier los? (Versteckte Kamera? Ein schlechter Traum?) Wankend stehe ich noch immer an derselben Stelle, wankend, da der Boden unter mir neuerdings kollernd zu beben müssen meint. Erschütterte, vor Schreck verzerrte Fratzen zeichnen grässliche Gemälde in Fenster und Türen des grimmigen Kaffs, winken mir zu, gestikulieren, formen undeutliche Worte. Eine räudige Töle bellt krachend (war ja klar, ich hasse Hunde, schlimmer kann’s nicht werden), abrupt untermalt von dem aus voller Kehle gellenden Geschrei eines verängstigten, missgeborenen Kindes (ernsthaft jetzt, Schicksal? Okay, Kinder hasse ich sogar noch viel mehr!) Düstere Wolken ziehen über mir herauf, verschlingen die soeben noch herausstechenden Strahlen der gleißenden Sonne, lassen mich binnen Augenblicken unweigerlich frösteln. Verhüllen das Himmelszelt, färben es tiefschwarz, formen eine Finsternis wider die Natur, dunkler, bösartiger, bedrohlicher, vernichtend. (Irgendwie… Intelligent?) Grelle Blitze durchzucken das wogende Schwarz, untermalt von markerschütterndem Donnern. Aus seichtem Wind wird tosender Sturm, erfasst meinen Körper, zerrt an Kleid und Haaren. Wie mikroskopische Nadeln fressen sich feinste Sandpartikel in meine verbrannte Haut, blutige Pünktchen zeichnend, mein Antlitz besprenkelnd; rauben mir die Sicht. Mir schwindet der Atem, instinktiv halte ich die Hände vor meine Augen, stemme mich energisch gegen den nun tobenden Orkan (really?) und stapfe gen erstbester Deckung, einem Müllcontainer – oder dem hölzernen Lattenzaun daneben? Egal, hauptsache fort, nur fort, ich muss hier weg, benötige Schutz. FUCK, WAS GESCHIEHT HIER? Wütende Böen schlagen ohrenzerreißend heulend gegen von Menschenhand errichtete Behausungen, dringen ein in jede Ritze, säen Schauder und Schrecken in Mensch und Tier. Der Äther um mich scheint zu schäumen.

Mittlerweile kondensiert mein Atem in kleinen weißen Wölkchen, kaum ausgeatmet, schon verwirbelt. Ein tiefes Grollen dringt aus der Erde, vermischt sich zum allgemeinen Heulen und Rumpeln. Und dann… vernehme ich es. Zuerst ein einzelnes, spitzes Knirschen, fern, aber doch nicht allzu weit von mir. Ein hallendes Krachen. Und Splittern. Halte inne, auf halber Strecke zum ersehnten Schutze, fahrlässig, ja sicher. Doch die Neugierde obsiegt, entgegen der Vernunft. Langsam drehe ich mich um, wohl wissend, dass ich diese Bewegung bereuen könnte. Und werde, wie ich sogleich erkenne – ich reiße die Augen auf und keuche offenen Mundes angesichts dessen, was sich am Horizont abzeichnet: Ein wütender Mob rollenden Tumbleweeds, mein gesamtes Sichtfeld einnehmend. Ein Tsunami knisternder Dornen, stacheligen Geästs und flüsternden Laubes. Eine braungraue, pulsierende Masse, eine Armada pflanzlicher Tribbles, Vorboten des Weltuntergangs, rollende Ausgeburten der Hölle. Doomsday! Apocalypse now! Unter ohrenbetäubendem Dröhnen, im stechenden Stakkato des Blitzlichtgewitters erleuchtet, von Lichtschein zu Lichtschein näher und näher heranstürmend. Unbarmherzig ihren Weg gen Siedlung bahnend, ein Ozean wuchernden Dörrgewächses, allen Widerstand im Keime erstickend. Erkenne, dass es zu spät, die Chance auf Flucht verronnen, mein Leben verspielt ist.

Ich lasse mich auf die Knie fallen, blutend, geschunden, (und immer noch durstig, irgendwie zumindest), am Ende meiner Kräfte, sehe der Verdammnis entgegen und denke nur noch an BRIZZEL!!! KAAA-BLAAAMMM!!!, ein monumentales Blitzen raubt mir die Sehkraft, verdampft die Hornhaut meiner Augen, gefolgt von infernalem Schmettern. Schrilles pfeifen im Ohr, FIIIIIIIiiiiiiiieeeeeee! Rot glühendes Fauchen entsprießt den Rollbüschen; Mutter Natur verwandelte Kraft ihres Amtes flutende Büsche in ein brausendes Flammenmeer. Eine lodernde, alles versengende Verderbnis galoppiert ungebremst, wütend, anarchistisch auf mich zu, einst harmlos schwofende Staubteufel mutieren zu brüllenden Feuertornados; gespeist durch endlose Massen knochentrockenen Tumbleweeds. Eiseskälte zerschneidet meine Haut, Inferno. Eine Träne entspringt meinen gemarterten, zugekniffenen Augen, rinnt über meine verkrustete Wange und benetzt meine spröden Lippen, unheimlicherweise nehme ich jede winzige Regung innerhalb der glänzenden Träne wahr, ich spüre das Salz in ihr, die Verwirbelungen, die wohlige Wärme. Kurzzeitig scheint die Welt um mich herum innezuhalten, nur für die Dauer eines flinken Lidschlags lang, doch für mich stolze Ewigkeiten gleichend – und dann… Brandet die feurige Flut gegen meinen bibbernden Körper, umschließt sie von allen Seiten.

Auf Kälte folgt Glut. Dornen zerkratzen mein besudeltes Haupt, mein Haar fängt Feuer, meine Kleidung brennt, ich schreie, schreie, SCHREIE, doch ohne Erfolg gegen das allgemeine Tosen und Brausen, WAAAAHHHHH IST DAS LAUT, schreie, brülle, SCHREIEEEEEEEE, stehe in Flammen, versengte Haut schält sich in Spänen von meinem Körper (wie verkohlte Rosenblätter, denke ich, oder wieKOPFSCHMERZEN AAAAHHHHH SCHMETTERNDE HÄMMER AUF HALLENDEM METALL), werde von scharfen Stacheln durchbohrt, der Geruch verbrannten Fleisches, KREISCHEN, Äste, Dornen, Feuer, Lärm, HÖLLISCHE SCHMERZEN, GELLENDES SCHREIEN, erstickt von Staub und Blut, husten, Luft, ich brauche LufHUSTHUST, übergebe mich, süßsauer mit Blutaroma, DIESE SCHMERZEN, AUFHÖREN, SIE SOLLEN AUFHÖREN, HÖÖÖRT AUUUFFF, bitte, HÖRT AUF, rolle zusammengekrümmt auf dem Boden, trockene Tränen, TAUSENDE STICHE, FOLTER, MESSER IM FLEISCH, DÜNNE NADELN INS AUGE, FINGERNÄGEL, DIE AUSGERISSEN WERDEN, AAAHHHHHHH, keuche, würge, BESTIALISCHE QUALEN, TÖTE MICH, TÖTE MICH, SO TÖTE MICH DOCH ENDLICH!!!, verstumme, SELBST DENKEN SCHMERZT, FLIRRENDE LICHTER, ICH SEHE NUR NOCH ROT, WIRRES GESCHWURBEL, MUSTER, ROT, mein zerschlissener Körper, liegend; inmitten wahnwitzigen Chaos.

Werde in meine Moleküle zerrissen, zerschliffen, zerfetzt, GEMETZELT. Verliere das Bewusstsein… und lasse los. Will nur noch weg. Fliehe in die Finsternis, in die verlockende, in mir apart erblühende Finsternis. Gleite hinab in ihre Schwärze, fern der bitteren Realität. Dunkelheit umgibt mich, flauscht mich in wattige Geborgenheit, bietet Endgültigkeit und Erlösung. Bietet Frieden. Und schlussendlich: Stille…

Blut und Morde.

*räusper* Ehm… Ja gut, äh …

… eigentlich lag meine Intention bezüglich dieses Artikels ursprünglich lediglich in dem Verlangen, in wenigen Worten darauf hinzuweisen, dass sich das erst in den 1870er-Jahren aus Zentralasien in die USA eingeführte Tumbleweed seither wie Unkraut verbreitet und dieser Tage in immer extremeren Ausmaßen über das Land kugelt – auch fernab wildwestlicher Geisterstädte. Was dann in etwa wie folgt aussieht – und mich spontan zur vorangegangenen Einleitung bewog:

Tumbleweed storm in rush

Big Storm/Tumbeweed Migration

Firestorm in Tumbleweeds

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